Der Wandel der Instandhaltung (Teil I)

19.01.2022 | Salzgitter Flachstahl GmbH


Die dreiteiligen Artikelserie betrachtet die verschiedenen Aspekte der Instandhaltung und ihre heutige Bedeutung. In Teil I beschreibt die historische Entwicklung der Instandhaltung vom Reparaturservice für den Notfall hin zum Produktions- und Planungsbegleiter und Wertschöpfungsfaktor.

Die Entwicklung

Früher waren Produktion und Instandhaltung meist strikt getrennt – so auch vor knapp 30 Jahren bei der damaligen Preussag Stahl AG: Die Instandhaltung im Hüttenwerk Salzgitter wurde damals zentral von einem Direktor geleitet, der direkt dem Vorstand unterstand. Das begann sich 1995 zu ändern, als jede Produktgruppe eine eigene Abteilung „Anlagentechnik“ erhielt für die Instandhaltungsarbeiten an Elektrik und Mechanik; 1998 kamen Automatik und Prozesstechnik hinzu. Der Leiter jeder Produktgruppe war verantwortlich für Produktion und Instandhaltung. Fortan begannen die Produktionsmitarbeiter, sich stärker in der Instandhaltung zu engagieren und kleinere Störungen selbst zu beheben, statt nach den Spezialisten zu rufen: Sie bauten Maschinenverkleidungen ab, wechselten Komponenten aus oder machten sie gangbar – und am Hochofen ersetzten Produktionsmitarbeiter anstelle der Instandhalter die Siebkassetten. Während dieser Umstellung wandelte sich auch die Ausbildung – weg vom Verfahrenstechniker und hin zum Industriemechaniker, der sich in Verfahrenstechnik weiterbilden konnte. Zudem qualifizierten sich Maschinenarbeiter und Industriemechaniker zu Prüfmechanikern, als die moderne Analysetechnik den Einsatz spezieller Werkstoffprüfer zunehmend erübrigte. Die Erfolge dieser Entwicklung waren messbar: Weil Mitarbeiter der Produktion Instandhaltungsarbeiten leisteten, verkürzten sich die Stillstandszeiten. 

Heute wichtig für den Geschäftserfolg

Heute lauten die wichtigsten Ziele des Instandhaltungsmanagements: Stillstände vermeiden und die Ausfallzeiten und deren Auswirkungen auf die Produktion begrenzen. Aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks sind die Unternehmen auf niedrige Ausfallraten angewiesen, weshalb sich die Instandhaltung vom Kosten- zum Wertschöpfungsfaktor gewandelt hat. Und weil die Sicherung der Anlagenverfügbarkeit sowie die Gewährleistung der Prozessstabilität und Produktqualität zu ihren vordringlichsten Aufgaben wurden, ist die Instandhaltung heute mit der Produktion untrennbar verwoben und in die Planung neuer Anlagen miteinbezogen, damit diese instandhaltungsfreundlich konzipiert werden. Mit der Verantwortung für den Unternehmenserfolg sind für die Instandhaltung aber auch die Anforderungen gewachsen. Wartungs- und Austauschintervalle haben sich verkürzt. Nach Angaben des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat sich der Lebenszyklus elektronischer Bauteile auf nur noch zwei Jahre reduziert. Zudem können neue Regelungen und Gesetze wie verschärfte Anforderungen an die Energieeffizienz einer Anlage den Austausch z. B. eines Antriebsmotors erfordern. 

Schraubenschlüssel und Smartphone

Grundsätzlich ist die Anlagentechnik sehr komplex geworden. Oft sind die Ursachen einer Störung nicht so schnell zu erkennen wie bei einer gebrochenen Welle oder einem defekten Motor. Statt Schraubenschlüssel und Hammer sind daher heute Laptop oder Smartphone als digitales, mobiles Diagnosegerät im Einsatz. Denn Fehlerquellen sind nicht mehr nur defektes Material, sondern auch Programmierfehler, Schadsoftware oder falsch ausgeführte Updates. Die Digitalisierung und Vernetzung sind in Zeiten der Industrie 4.0 für die Instandhaltung zu wichtigen Treibern geworden und haben die „smarte Instandhaltung“ zum Leben erweckt. Sensoren ermöglichen eine sich selbst überwachende und steuernde Anlagentechnik, und irgendwann wird es vielleicht normal sein, dass Ersatzteile nur als Datensatz verschickt werden, um sie vor Ort im 3D-Druck herzustellen. Schon heute ermöglichen die Vernetzung, die digitale Kommunikation und Virtual-Reality-Anwendungen eine Fernwartung auf hohem Niveau. Zusätzlich ergänzen neue Aufgaben das Anforderungsprofil der Instandhaltung. Es beinhaltet den Auftrag zur permanenten Optimierung und rückt die Nachhaltigkeit in den Fokus: Eine immer weiter verbesserte Energieeffizienz, die Schonung aller Ressourcen und die Aufarbeitung von Komponenten bzw. Ersatzteilen haben das Aufgabenfeld der modernen Instandhaltung erweitert. 
Das alles trifft für die Stahlindustrie in besonderem Maße zu. Nicht nur, weil deren Anlagen zur Stahlerzeugung, Umformung und Weiterverarbeitung oft bis zur Kapazitätsgrenze ausgelastet sind, sondern auch, weil sie im Zuge der Dekarbonisierung vor großen Umwälzungen steht. Der Bau neuer und der Umbau bestehender Anlagen wird die Instandhaltung mit Herausforderungen konfrontieren, die heute noch nicht vollumfänglich absehbar sind und flexibles, schnelles und kompetentes Handeln im Auftrag der Prozessabsicherung erfordern werden. Wichtigster Faktor wird während dieser Entwicklung trotz aller Technik, Automatisierung und Digitalisierung der Mensch bleiben bzw. die Mitarbeiter und deren Ausbildung. Denn Wissen und Erfahrung eines „Problemlösers“ sind die wichtigsten Güter in der Instandhaltung – und die Fähigkeit, für unerwartet auftretende Schwierigkeiten schnelle, kreative Lösungen zu finden.

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