Aus der Hütte entspringt ein Fluss

29.11.2017 | Salzgitter Flachstahl GmbH


Drei Dinge braucht der Stahlkocher: Erz, Kohle und – Wasser! Zur Kühlung der Anlagen und zum Abschrecken des Stahls und der Schlacken.

Tief unter Börßum befindet sich ein großes Kiesbecken, welches das Wasser unterirdisch durchfließt, wobei es sich mit Mineralien anreichert. An der tiefsten Stelle wurde 1938 ein erster Brunnen gebohrt. Heute schöpft das Wasserwerk der Salzgitter Flachstahl GmbH (SZFG) aus 80 Brunnen Wasser aus bis zu 65 m Tiefe.

Es versorgt heute neben dem eigenen Werk das Industriegebiet Salzgitter Watenstedt mit Gewerbekunden wie MAN, Alstom und VW mit Trink- und Brauchwasser.

Das im Wasserwerk Börßum-Heiningen geförderte Wasser wird entsäuert, gefiltert und desinfiziert, dann gelangt es über zwei parallele Druckleitungen in das Aufbereitungswerk Adersheim. Hier wird der Trinkwasseranteil druckerhöht und weiter verteilt, während das Brauchwasser mit Grundwasser aus dem SZFG-Werk aufgefüllt wird. Weil das Grundwasser unter dem Werk permanent abgesenkt werden muss, steht dieses Wasser zusätzlich zur Verfügung – 2016 wurden insgesamt 2,83 Mio. m3 gefördert. Zum Schluss wird das Wasser mithilfe von Kalk enthärtet, damit die industriellen Betriebe es als Brauchwasser nutzen können. Der dadurch entstehende Calciumcarbonatschlamm wird als zertifiziertes Düngemittel eingesetzt – hier läuft es also schon „rund“.

Ein Hüttenwerk, das sein Wasser nicht aus einem Fluss schöpft, sondern mit so viel Aufwand aus der Tiefe fördert, haushaltet mit dieser Ressource verständlicherweise sorgfältig. Um Wasser zu sparen, wird es in Salzgitter deshalb so lange aufbereitet und wiederverwendet, wie es nur geht. Folglich ist der Rohstoff Wasser das vielleicht beste Sinnbild für das Prinzip „Es läuft rund.“

Wie rund es läuft, weiß am besten Cord Strathmann. Der Bauingenieur ist seit 1989 bei der SZFG als Leiter TZW Wasserversorgung und Abwasseranlagen tätig. Als Gewässerschutzbeauftragter hat er die beeindruckenden Zahlen des Wasserkarussells in Salzgitter festgehalten.

So betrug 2016 die Umwälzmenge, also die in den Kreisläufen der Betriebe pro Jahr bewegte Wassermenge, 512,62 Mio. m3. Der Großteil, 77 % oder 396,11 Mio. m3, wird als Kühlwasser benötigt, der Rest als Prozesswasser in der Produktion genutzt. Dann kommt die Zahl, auf die Cord Strathmann sehr stolz ist: „Der Verlust beziehungsweise die dadurch nötige Frischwasserzuspeisung in die Kreisläufe beträgt nur 2,51 Prozent!“

Die Rohrleitungsverluste im gesamten System betrugen im Jahr 2016 lediglich 2,48 %. Im Jahr 2006 lag der Wert noch bei 11,7 %. Verantwortlich dafür sind die „technischen und kaufmännischen Verluste“, wie man die Differenz zwischen Fördermenge und Abgabemenge nennt. Sie resultieren aus Messfehlern, dem Filterspülwasser im Wasserwerk Börßum, Ablesetoleranzen, ungezähltem Verbrauch und tatsächlichen Leckagemengen.

Trotz aller Umwälzungen fällt natürlich auch Abwasser an, 2016 leitete die zentrale Abwasserreinigungsanlage der Salzgitter Flachstahl GmbH 12,5 Mio. m3 ab – weniger als im Jahr davor. Sie ist ein Beispiel dafür, wie sich in Salzgitter auch für das verbrauchte Wasser der Kreis wieder schließt.
Am Anfang des Prozesses steht eine mechanische Reinigung. So entfernt eine Grobrechenanlage alle Feststoffe aus dem Schmutzwasser, die größer als 10 mm sind. Die nächste Stufe ist das Vorklärbecken, wo sich weitere Feststoffe absetzen, während die leichten Stoffe, die sich auf der Oberfläche sammeln, abgeräumt werden.
Das Abwasser macht nun die Bekanntschaft ganz anderer und vor allem hungriger Lebewesen: Ein Pumpwerk befördert es in die biologische Reinigungsstufe, wo Bakterien über die restlichen Stoffe herfallen.
Zuvor mischt sich aber noch Prozessabwasser aus der Kokerei, Trübwasser aus der Schlammbehandlungsanlage, Straßenablaufwasser, Reinigungswasser, die keiner mechanischen Reinigung bedürfen, und noch einige Zutaten, die den Bakterien das Leben angenehm gestalten, unter das Abwasser.

Dieses Gemisch sammelt sich im ersten Belüftungsbecken, in das unentwegt Luft eingeblasen wird. „Wir müssen permanent optimale Lebensbedingungen für die verschiedenen Bakterienarten aufrechterhalten“, erklärt Dirk Nowak, Wasserversorgung und Abwasseranlagen SZFG.
Der Stoffwechsel der Kleinstlebewesen baut die üblichen Belastungen, aber auch Phenole und Cyanide sowie Stickstoffverbindungen biologisch ab. Diese Prozesse setzen sich in weiteren Belebungsbecken fort. Dort sorgt teils Druckluft ebenfalls für einen Sauerstoffüberschuss, teils werden die Bakterien durch Sauerstoffentzug und Methanolzugabe dazu veranlasst, Nitrate in Sauerstoff und Stickstoff aufzuspalten.
Am Ende sammelt sich ein Gemisch aus Wasser und „Belebtschlamm“ in zwei Nachklärbecken. Die Schwerkraft sorgt dafür, dass sich die schwere Bakterien-Schlammmasse absetzt und dem neu ankommenden Abwasser aus der mechanischen Reinigung wieder beigemischt werden kann. Ein kleiner, aber weiterer vollendeter Kreislauf.
Zurück bleibt das nun saubere Wasser, das über den Lahmanngraben in das Flüsschen Aue eingeleitet wird. Aber was heißt überhaupt eingeleitet? Das gereinigte Abwasser ist eine wichtige Quelle der Aue. Aus der Hütte in Salzgitter entspringt also tatsächlich ein Fluss. Und der ist sogar so rein, dass er die strengen Anforderungen an ein Badegewässer erfüllt.

Aber warum wird das gereinigte Abwasser nicht einfach wieder als Brauchwasser in den Kreislauf der Wasserversorgung zurückgeführt? Cord Strathmann schüttelt den Kopf „Das geht leider nicht, weil die Aufbereitung zu aufwändig wäre. Brauchwasser muss gewisse Anforderungen erfüllen, damit es keine Produktionsanlagen schädigt und für die Herstellung höchster Stahlgüten geeignet ist.“
Es schließt sich vielmehr ein anderer Kreis: der von Quelle zu Quelle, von Börßum zur Aue – aber mit dem Umweg der Brauchwasser- und Trinkwassernutzung im Industriegebiet Salzgitter-Watenstedt. Und wer genau hinschaut, findet in der Wasseraufbereitung weitere Prozesse, bei denen es rund läuft: Im vergangenen Jahr wurden 704 t, u. a. eisenhaltiger Vorklärschlamm, in der Sinteranlage wieder der Verhüttung zugeführt und 684 t biologischer Schlamm der Kokerei.
Eine gute Bilanz, auf der sich die SZFG weder ausruhen will noch darf. Denn ab 2021 benötigt das Unternehmen eine neue Erlaubnis für die Abwassereinleitung in öffentliche Gewässer. Die setzt ein langes Verfahren voraus, das schon jetzt angelaufen ist. Cord Strathmann und seine Männer überlassen da nichts dem Zufall.